DER STADTRUNDGANG, DER VON GESCHICHTEN DES GELINGENS ERZÄHLT
„Warum gibt es in Konstanz eigentlich so viele historische Stadtführungen, aber keine, die sich dem
Thema Nachhaltigkeit widmet?“ Diese Frage stellte sich Judith Wehr, als sie 2009 nach Konstanz zog.
Auf keinen Fall will sie historische Stadtrundgänge in Frage stellen, sie sind toll, aber diese Frage und
die Idee eines grünen Stadtrundganges ließen sie nicht los. Da musste etwas geändert werden.
Von Fabienne Hurst
Die Blitzidee des grünen Stadtrundganges entwickelte sich aus dem eigenen Bedürfnis heraus, regionale und ökologisch nachhaltig hergestellte Produkte und Einkaufsmöglichkeiten in Konstanz zu finden. Diese Produkte und Geschäfte sollten aber kein Geheimtipp bleiben, sondern für jeden sichtbar sein. Aus diesem Grund gründete sie 2012 GREENTOURS und bis heute werden alle Rundgänge und
Führungen von Judith Wehr selbst durchgeführt. Dabei ist ihre Arbeit bei GREENTOURS nicht ihr Hauptberuf, sondern ein Herzensprojekt. „Ein Herzensprojekt für das man auch mal am Abend oder am Wochenende viel Zeit investiert.“ Hauptberuflich arbeitet die Politologin und Umweltwissenschaftlerin bei der TINK Walter & Wagner GbR, eine Firma, die Kommunen bei der Einführung von öffentlichen Transportrad-Mietsystemen berät, in der Geschäftsstellenleitung und Beratung. Das ein oder andere mal bringt sie gerne ein TINK Lastenrad mit auf eine ihrer Führungen.
So können die Teilnehmer erste Erfahrungen mit einem Transportrad sammeln und sehen, wie einfach es ist, größere Gegenstände hiermit zu transportieren.
„INSPIRIEREN, MOTIVIEREN UND INFORMIEREN!"
Das ist das Ziel von Judith Wehr, wenn sie eine Gruppe von Menschen durch Konstanz führt. Das Positive hervorheben und herausstellen.
ENTWICKLUNG
In den Jahren hat sich GREENTOURS immer weiter entwickelt und auch verändert. Während sie in den Anfangsjahren die Themen Ernährung, Konsum und Mobilität noch in einer Tour behandelte, legt sie heute den Fokus hauptsächlich auf den Konsum. „Das Thema Konsum ist in Konstanz einfach am besten umzusetzen und macht zudem am meisten Spaß“, so Wehr. Die Geschäfte selbst entwickeln sich natürlich auch, und es kommen Geschäfte dazu, während andere wegfallen. 2012 gab es zum Beispiel noch keine „Unverpackt Läden“ in Konstanz. Auf ihren Touren durch Konstanz hat sie auch
eine Lieblingsstation, „Stoffwechsel“. Eine nachhaltige Änderungsschneiderei, die mit viel Herzblut alte und kaputte Kleidungsstücke wieder aufbereitet. Genau wie bei ihrer Lieblingsstation steckt auch in GREENTOURS jede Menge Leidenschaft und Arbeit. Arbeit, die einen sehr hohen Wert hat, weshalb ihre Kunden dafür Geld bezahlen müssen. Aktuell gibt es das Angebot, alte Handys zur gebuchten Tour mitzubringen, um so einen kleinen Rabatt zu erhalten. Die Idee dahinter ist, dass sich die Teilnehmer
schon vor Beginn mit dem Thema beschäftigen und aktiv werden. Die gesammelten Handys werden anschließend zu einer Handysammelbox gebracht.
Es war nie die größte Herausforderung, Partner für ihr Projekt zu gewinnen, sondern Teilnehmer für die Touren zu finden. Mittlerweile hat sie zu vielen der Geschäfte guten Kontakt und die Inhaber stellen ihre Geschäfte und Produkte während des Rundgangs selbst vor. Zu Beginn haben ihre Kunden noch Gutscheine der jeweiligen Partner bekommen, die sie dann in den Geschäften für nachhaltige Produkte einlösen konnten. Ihre Partner wählt sie nach einem eigenen Kriterienkatalog aus. Durch ihre Stadtführungen lernt Judith Wehr nicht nur die Inhaber der einzelnen Geschäfte kennen, sondern auch immer wieder Tourenteilnehmer, die selbst im Bereich Nachhaltigkeit tätig sind und dieselben Ziele wie sie verfolgen. Sie geht ihren Weg, aber lernt links und rechts davon immer wieder neue Menschen kennen, die wiederum neue Möglichkeiten und Angebote aufzeigen.
Es bedeutet einen enormen Aufwand und kostet sehr viel Energie, konstant Werbung zu betreiben. Mit ihren begrenzten Kapazitäten macht sie immer das was geht und den Rest ihrer Energie investiert sie voll und ganz in ihren Hauptberuf bei „Tink GbR“. Im ersten Jahr fand immer donnerstags und jeden ersten und zweiten Samstag im Monat eine Tour statt. Irgendwann waren aber die Menschen, die sich für das Thema interessierten abgegrast und sie musste sich etwas Neues einfallen lassen. Sie stieg auf
Gruppenanfragen um und passte ihr Konzept immer wieder neu an. So wird die Route immer wieder neu festgelegt, Fragen und Spiele werden hinzugefügt oder es wird auch mal eine Kombination aus historischer und nachhaltiger Stadtführung angeboten.
Viele ihrer Führungen werden von Schulklassen gebucht, über die sie sich besonders freut, da oft Schüler und Schülerinnen darunter sind, die sich bisher noch nicht so viel mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt haben und einfach einen großen Bevölkerungsquerschnitt abbilden. Der ein oder die andere wird durch geschickte Fragestellungen und verschiedene pädagogisch ausgearbeitete Spiele meist mitgezogen und kann für das Thema begeistert werden.
ANSPRUCH
Judith Wehr geht es nicht darum, ihre Kunden zu belehren, sondern um die Diskussion und die gegenseitige Inspiration. Sie weiß, dass man nichts gewinnt, wenn man Menschen zu etwas zwingen will, es geht auch viel um Informationen und Hintergründe. Natürlich handeln ihre Stadtrundgänge von Konsumkritik, aber das soll nicht der Hauptschwerpunkt sein. Sie selbst findet es nicht sehr motivierend immer nur zu kritisieren, es geht mehr darum aufzuzeigen und zu sensibilisieren. „Man soll am Schluss einer Tour nicht sagen: Ich stecke den Kopf in den Sand, oh mein Gott, alles ist schlecht.“ Im Gegenteil, die Menschen sollen mit neuen Erkenntnissen und positiven Entwicklungen nach Hause gehen.